Amsterdams Kunststad


Das mächtige Eisentor der ehemaligen Werfthalle, ein Backsteinbau aus der Blütezeit der Industrialisierung, geht knarrend auf und eröffnet ein skurriles Szenario: Hunderte containerartige Raumeinheiten, aus Stahlblech, Presspanplatten oder Rigipswänden gebaut, bunt lackiert, beklebt, besprayt, minimalistisch bis utopistisch anmutend, jede für sich ein Unikat. Wie von Kinderhand in der 20 Meter hohen Halle kreuz und quer dahin gestreut, übereinander gestapelt, von der Decke abgehängt. Dazwischen ausgemistete Couchen, Camping-Kocher, gestapelte Bau- und Arbeitsmaterialien, ein Hometrainer, eine Waschmaschine, ein gelber VW-Transporter, eine Kunst-Installation aus alten Lampenschirmen.  Zusammen bilden sie die „Kunststad“, der derzeit größten kulturellen Brutstätte der Niederlande. Gelegen im Amsterdamer Norden, getrennt von der historischen Altstadt durch den Fluß IJ, umfasst das gesamte Areal der 1984 in Konkurs gegangenen NDSM-Schiffswerft rund 86.000m2, wovon die Hallen rund 20.000m2 einnehmen. Sie sind allesamt von Vertretern der sogenannten „Kreativwirtschaft“ in Beschlag genommen: Architekten, Designer, Multimedia-Spezialisten, bildende Künstler, Musiker, Filmemacher, Theaterproduzenten.
In der Kunststad wird gearbeitet, Partys gefeiert und Aktionstheater gemacht. Überall finden sich Plakate und Flyer mit den neuesten Events. Kinder skaten und fahren Rad in den „Straßen“, Besprechungen werden beim selbstgekochten lunch im „Freien“ gehalten, auf den vielzähligen Freiflächen unter der beeindruckenden Glas- und Stahlkonstruktion des Daches der Halle.
Hervorgegangen ist die Kunststad aus dem Zusammenschluss von Hausbesetzern, die Mitte der Achtziger Jahre die brachliegenden Hallen in Beschlag nahmen, geduldet von den lokalen Behörden und der Stadtregierung. „Kinetisch Noord“, der daraus entstandene Verein, ist 1999 als Gewinner eines von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerbes zur Entwicklung des Areals hervorgegangen mit dem Konzept einer auf kollektiver und partizipatorischer Basis organisierten Kreativnutzung durch Künstler und Kulturunternehmer. Stadtentwicklung von unten, die Amsterdam zu einem der kreativsten Orte der Welt macht.